Bericht von der ersten Woche in Kinshasa

Wenn ich vor Ort ankomme, dann regnet es Fragen wie „Wie ist dein genaues Programm? Wann kommst du zu mir? Wann kann ich dich besuchen? Wirst du auch das und jenes machen, auch dort und dort hinreisen und wann genau?“

Ich muss dann immer sagen: „Ich weiß es noch nicht. Das kommt darauf an“. Und dann versuche ich irgendwie zu beginnen und eine Struktur zu finden.

  • Gleich begonnen habe ich mit dem Verbandwechsel und der Venenkompression bei Soeur Alphonsine, sie hat darauf sehnlichst gewartet. Sr. Alphonsine hat mit ihren offenen Beinen schon sehr viel mitgemacht. Sie war sogar monatelang zur Behandlung in Südafrika. Alles ohne wirklichen Erfolg. Inzwischen ist sie zurecht reserviert gegenüber allen neuen Methoden. Aber bis jetzt läuft alles erstaunlich gut, die Wunde hat sich schon etwas gebessert, sie verspürt keine Schmerzen, und die Venenkompression, auf die es mir hauptsächlich ankommt, verträgt und akzeptiert sie gut. Niemand hat bisher die Notwendigkeit der Venenkompression, von der ich überzeugt bin, erkannt. Es gibt außerdem die dafür benötigten Kurzzug-Bandagen nicht. Denn schon die vergangenen Male war mir ziemlich klar, dass sie genau das braucht, aber ich hatte nichts dabei. Und das gegenseitige Vertrauen musste sich erst entwickeln.
  • Den Kontakt zur Crêche und Mama Florence habe ich als nächstes gesucht. Sie hat mir über die persönlichen Schicksale einzelner Kinder und Jugendlichen erzählt, und mir gesagt, wo sie Hilfe braucht, um zu helfen.

Ich musste im Verlauf der Gespräche mit verschiedensten Menschen zur Kenntnis nehmen, dass hier im Kongo wenig Kenntnis existiert über die Bewältigung von Traumata. Es heißt gleich mal „Du musst verzeihen“. Das junge Mädchen, das vom eigenen Vater unter Drogen gesetzt und vergewaltigt wurde, soll ihrem Vater verzeihen. Das Kind, das, der Hexerei beschuldigt, von der eigenen Familie verletzt, regelrecht gefoltert und verstoßen wurde, soll verzeihen. Hier protestiere ich sehr energisch und lasse mich auf tiefe Gespräche ein.

  • Am späten Samstagnachmittag traf ich in der Schule in Kimbanseke viele der Frauen, die ich im Vorjahr geschult Sie kommen weiterhin jeden Samstagnachmittag zusammen, praktizieren das Gelernte und tauschen sich aus. Das Wiedersehen war überwältigend! Ich bin so stolz über die Tatkraft der Frauen, die sich mit der einfachen Methode der Reflexologie und Kinaesthetics selbst und innerhalb der Familie helfen. Erschütternd war aber doch die existentielle Armut, die sich zeigte. Einige nutzten meine Anwesenheit, um mir konkrete Fragen zur eigenen Gesundheit zu stellen. Wenn ich dann fragte, warum sie wegen eines Leidens, das durch Reflexologie nicht verschwindet, nicht fachärztliche Hilfe suchen, dann höre ich: „Eine Konsultation kostet zehn Dollar, und die habe ich nicht“. Unauffällig stecke ich den benötigten Betrag zu. Aber damit sind noch keine weiterführenden Kosten, zum Beispiel im Fall einer Operation, gedeckt.
Die Frauen von Kimbanseke
  • Am Sonntag besuchte ich Doktor Ulrich Bifutuka, der gerade auf Urlaub bei seiner Familie außerhalb von Kinshasa, in der Nähe des Flughafens, weilte. Er ist derjenige, für den ich die medizinischen Geräte suchte. Er erzählte mir über seinen Plan, in dieser dicht besiedelten Wohngegend ohne ärztliche Versorgung, auf lange Sicht eine Klinik aufzubauen. Er will mit einer Ordination beginnen und diese nach und nach erweitern mit einer Geburtenstation und einem Gesundheitszentrum, in dem Kranke auch stationär behandelt werden können. Seine Beispiele von Menschen, die starben, weil ärztliche Hilfe nicht erreichbar war, gingen mir ans Herz. Um seinen Plan umzusetzen, muss er zuerst seine Tätigkeit im staatlichen Gesundheitssystem, für das er seit Jahren unbezahlt arbeitet (siehe Bericht vom Juni 2019 auf www.elikia.at), beenden.

Dr. Ulrich hat eine fünfjährige Nichte, die mit deformierten Gliedmaßen zur Welt kam. Mir ihr arbeitete ich ein bisschen kinaesthetisch, zeigte der Mutter einige Übungen, und wenn es die Zeit erlaubt, werde ich nochmal kommen. Das geht aber nur sonntags, weil die Mutter die anderen sechs Tage der Woche arbeitet. Der Vater hat seine Frau verlassen wegen des behinderten Nachwuchses.

  • Am Montag besuchte ich gemeinsam mit Dr. Ulrich die Crêche in Masina Pasquale. Dr. Ulrich untersuchte und behandelte die kranken Kinder und er versprach, bei jedem seiner Kinshasa-Aufenthalte in die Crêche zu kommen. Mama Florence erspart sich dadurch Arzt-Kosten. Es war auch schön zu erleben, wie kenntnisreich und liebevoll Dr. Ulrich mit den kleinen Patientinnen und Patienten umgeht.
Dr. Ulrich hält Ordination in der Crèche.

Leider wurde ich an diesem Tag Zeugin eines Vorfalls, der mich zutiefst verstörte. Es geht um die elfjährige Milka, die auf meine Bitte hin im Waisenhaus der Don Bosco Schwestern, im Maison Mazzarello 2018 aufgenommen wurde. Milka hatte sich dort gut eingelebt und ihre Heimat gefunden. Leider hatte sie in der Woche davor einen Blödsinn gemacht, wie ihn Kinder machen, würde ich sagen. Sie hatte mit einem anderen Mädchen gezündelt, eine Matratze hatte Feuer gefangen. Die Schwestern dort beurteilten dies als ein so großes Vergehen und als eine Gefahr für die Sicherheit der anderen Kinder, sodass sie beide Kinder aus dem Maison Mazzarello rauswarfen. Ich war wie gesagt in der Crêche, als eine Schwester und eine Sozialarbeiterin Milka bei Mama Florence abgaben. Sie ließen nicht mit sich reden. Nun geht es darum, das retraumatisierte Mädchen zu stabilisieren und einen neuen Weg für es zu finden. Oh Gott, das beschäftigt mich wirklich sehr.

Milka
  • Am Dienstag besuchten mich Mama Fifi Bora mit Rosette und Sagesse, die Freude des Wiedersehens war groß. Sie alle warten noch auf die Ankunft der drei Schwestern aus dem Kriegsgebiet im Ost-Kongo. Deren Abreise verzögert sich immer noch wegen der fehlenden Papiere. Kommende Woche werden sie hoffentlich endlich in Kinshasa ankommen.

Zuerst habe ich die drei und den elternlosen Studenten Emmanuel, um den sich Fifi ebenfalls kümmert, in Reflexologie instruiert, mit der Option, dass sie damit nicht nur sich selbst, sondern auch den Geschwistern nach deren Ankunft in der gesundheitlichen Stabilisierung helfen können. Sie waren alle mit Eifer bei der Sache.

Dann wechselten wir das Thema, und ich gab ihnen Mandalas zum Ausmalen. Das Material inklusive der Farbstifte hatte ich mitgebracht. Während des Ausmalens war es still im Raum, man hörte nur den Ventilator rauschen. Vom Ergebnis waren alle erfreut. Es war schön und berührend, sich über dieses zweckfreie Tun auszutauschen. Sie fühlten, dass diese einfache Tätigkeit sie ruhig und im Moment von Sorgen frei gemacht hatte.

Die Übung war gelungen, und ich meine, ich habe damit einen Einstieg, wenn auch nur einen kleinen, in die Traumaarbeit gefunden. Auf diesem Weg möchte ich weiter machen. Blätter und Stifte zum Fortsetzen habe ich allen mitgegeben.

Besprechung der Mandalas
  • Am Mittwochnachmittag starte ich in Masina Pasquale eine vorerst dreiteilige Gesundheitsschulung, von Mama Florence organisiert.
  • Kommenden Montag ist geplant, mit Mama Florence zur Farm auf dem Plateau von Pateke ungefähr drei Stunden Reisezeit von Kinshasa entfernt, zu reisen. Mit dieser Farm finanziert Mama Florence ihre soziale Arbeit. Für die Frauen, die auf der Farm ihres Vereins arbeiten und für andere Landarbeiterinnen werde ich Gesundheitsschulungen halten. Die Herausforderung wird der fehlende Raum sein. Wir müssen uns in kleinen Gruppen wohl unter Bäumen treffen. Das tat ich immer in der trockenen Saison, aber jetzt ist Regenzeit.

Diese erste Woche ist mit kleinen Aktivitäten und vielen Begegnungen und Gesprächen vergangen. Ich denke, das alles hat seine Berechtigung und ich bin zufrieden.